Von einem Menschen, der neun Mal die selbe Reise nach Afrika (Burkina Faso) gemacht hat, erwartet man, dass die zehnte einfach nur noch Routine ist. Dass dies nicht ganz so ist, wird einem dieser Bericht zeigen.
Begleitet hat mich diesmal Mario Förster. Er war noch nicht in Afrika und hat ich vielseitig unterstützt. Die Reise von Stuttgart nach Brüssel mit einer Propellermaschine war etwas Neues. Von Brüssel nach Ougadougou waren wir nicht die einzigen Weißen. In Ouagadougou haben wir vor der Weiterfahrt nach Sindou 3 ½ Stunden vergeblich auf die zugesagten Solarlampen gewartet, so dass wir kurz vor Mitternacht dort ankamen. Auch war an einigen regulären Tankstellen das Benzin ausgegangen.
Die erste Station auf unserer Begrüßungstour in Sindou war das fertiggestellte Nähzentrum bei Zacharia.
Es war schön zu sehen, wie ca. 15 Mädchen bzw. Frauen eine 3jährige Lehre zur Schneiderin machen. Das Gebäude auch mit sanitären Anlagen ist super und bietet Möglichkeiten für noch mehr Ausbildungsplätze, vorausgesetzt, dass eine passende Fachfrau gefunden wird, die wir bezahlen können. Einige Wünsche für die Innenausstattung sind noch offen.
Auf dem Weg trafen wir eines der Kinder, das nach dem Tod der Mutter dank unserer Unterstützung durch Zacharia mit Trockenmilch überlebt hat und sich sichtbar seines Lebens freut.
Auch wirklich arme Kranke, die nur leben, weil wir die Medikamente für sie bereitstellen, hat uns Zacharia vorgestellt. So wird mir immer wieder bewusst, wie wichtig es ist, neben der Unterstützung der Patenkinder und den verschiedenen Projekten die Hilfe für die Menschen, bei denen es ums Überleben geht, nicht zu vergessen.
Ein kurzer Besuch im Computerzentrum hat uns gezeigt, dass alle Geräte, die wir gebracht haben, von ganz verschiedenen Menschen aktiviert werden: von Lehrern über Patenkinder bis hin zu interessierten Erwachsenen. In diesem Jahr haben wir 4 Patenkinder, die studieren, mit gebrauchten, überholten Laptops beschenkt. Was in dem Zentrum fehlt, ist ein Drucker mit Kopierer.
Unsere nächste Station war bei Mme Bado, der Frau, die das Waisenhausprojekt angeregt und organisiert hat. Als Frau des evangelischen Pastors ist sie für uns ein Glücksfall.. Bei ihr wird gewebt, es werden Schweine und Hühner gezüchtet. Sie sorgt sich um behinderte Kinder, hat selbst ein Waisenkind aufgenommen und hat nebenbei noch Bienen.
Mit ihr habe ich vor Ort ganz detailliert das Waisenhaus und die weiteren baulichen Schritte besprochen. Die ganzen Bauten sind verputzt, die Leitungen für Solarstrom gelegt, Fenster und Türen aus Stahl eingebaut. Was jetzt ansteht, ist die Deckenverschalung von innen und dann die Solarpanele auf den Dächern mit allem, was dazu gehört. An jedem Gebäude ist ein Trinkwasseranschluss. Die Duschen und Toiletten sind auch fertig.
Von Kleinigkeiten abgesehen hatte ich nichts auszusetzen. Es wurde gute Arbeit geleistet. Frau Bado legt Wert auf solide Bauweise. Das kommt mir sehr entgegen. Alles Weitere hängt von unseren Finanzierungsmöglicheiten ab.
Inzwischen sind die vom Nähzentrum gefertigten 150 Sporttaschen für die Patenkinder eingetroffen: sehr schöne, solide Handarbeit! Der erste Versuch einer Zusammenarbeit ist gelungen. In jede Tasche kommen die mit Nummern versehenen Geschenke, ein T-Shirt und ein Briefumschlag mit 10.000 CFA (= 15 €) für die Familie.
Dann kommen die Kinder. Mario sucht das passende T-Shirt. Manchmal einfacher gesagt als getan! Ich fotografiere. Aus mehr als 25 Uhren können die Großen wählen. Wir haben um die 40° Wärme, so dass der Schweiß rinnt… Gegen Ende streikt auch mein Fotoapparat, weil zu viel Staub und Sand im Objektiv ist. Die Kinder von Grund- und Hauptschulen kommen zum Essen. Viele werden hergefahren, so dass wir ca. 100 Menschen mit Essen und Trinken bewirten.
Wir erhalten Geschenke in Form von 2 Hühnern, von denen eines sogar ein Ei legt und dazu zwei Hähne, die leider nicht sehr alt werden. Dazu Tomaten, Papayas und verschiedenes Gemüse. Vor allem die Menschen aus den Dörfern der Animisten (Naturreligionen) sind besonders dankbar.
Gegen Ende erhält jedes Kind eine Zahnbürste mit Zahnpasta (ein Lehrer hilft mir dabei).
Mit den Jugendlichen vom Gymnasium fahren wir diesmal mit 2 Bussen nach Bobo Diolasso und besichtigen die älteste Moschee, die seit Jahren nur mit Lehm renoviert wird, das Ganze unglaublich spartanisch.
Bei einer Führung durch die Altstadt bestaunen wir den Bronzegießer und eine Musikgruppe, die ich zur Abwechslung anstelle der Balafonmusik, gerne in Sindou für die Kinder haben möchte. Nach dem Essen in einem einfachen Restaurant geht die Fahrt zurück in das 180 km entfernte Sindou.
Die Fahrten zu den Patenkindern in den 5 umliegenden Dörfern sind mehr als abenteuerlich. Ein sehr lange andauernder Starkregen hat die Wege so ausgewaschen, dass über weite Strecken nur eine Fahrspur in der Reifenbreite des Motorrades übrig bleibt und daneben Gräben bis zu einem Meter Tiefe ausgewaschen wurden. Für Mario als Geländefahrer ideal! Das wirklich Traurige bei diesen extremen Regenfällen hat sich in den Dörfern abgespielt. So viele zusammengefallene Hütten – es sollen insgesamt 300 Wohnhütten zerstört worden sein – habe ich noch nie gesehen. Die Kinder schlafen teilweise im Freien oder in den Schulen. Ein richtiger Notstand, der stattliche Hilfe notwendig machen würde.
Doch als ich einen Maurer nach seiner Beschäftigung frage, antwortet er: „Schlecht“, denn die Leute haben kein Geld. So sieht man in den Dörfern, wie eine Reihe junger Männer mit den selbstgemachten Lehmziegeln den Wiederaufbau betreiben, weil sie den Zement nicht bezahlen können.
Fast alle Neubauten sind jetzt rechteckig, so dass das typische Bild der Rundhütten mit einem speziellen Gras bedeckt langsam verschwindet.
In dem vergangenen Jahr hat auf dem Gelände von Solo der Architekt, mit dem ich das geplant hatte, 6 runde Hütten für die auswärtigen Schulkinder erstellt. 4 davon sind noch ohne Dach, Türen und Fenster. Die Dächer müssten von innen verschalt werden, da sie mit Metall bedeckt sind: unsere nächste Aufgabe.
Ja, Aufgaben gibt es genug! Bei der Grundschule in Dinaoro ist die Pumpe des Trinkwasserbrunnens kaputt. Kostenvoranschlag: 1000 €. Der Dorfchef von Kobada wünscht sich eine Mühle für Reis, Mais, Hirse und die Karite-Nuss. Er hat uns mit Palmwein verabschiedet nachdem ich wie immer Kleider für kleine Kinder verteilt hatte.
Insgesamt haben wir 6 Fahrräder gekauft. Jedoch ist der Wunsch nach einem Rad sehr groß, wie wir aus den Dankschreiben ersehen. Das Rad wird vielseitig eingesetzt, die Frauen transportieren ihr Brennholz, die Männer als Händler Stoffe, Tiere und Familienangehörige.
Ein Mann erzählt uns aus seiner Lebensgeschichte, dass er mit 9 Jahren sich entschlossen hatte, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Daraufhin brachte ihn sein Vater zur Polizei, um zu sagen, dass er seinen Sohn wegen Ungehorsam umbringen will. Er hat knapp überlebt und ist Pastor geworden.
Man sollte Sindou nicht verlassen, ohne die Peulh zu besuchen. Es ist ein Hirtenvolk, das mit seinen Tieren irgendwo in der Wildnis lebt. Ursprünglich waren es Nomaden. Das Besondere bei einer unserer Begegnungen war, dass diese Naturmenschen unsere Aufmerksamkeit auf dem morgendlichen Himmel richteten, an dem 3 Sonnen zu sehen waren, ein Naturphänomen.
Der Vollständigkeit halber muss ich erwähnen, dass es auch Dinge gibt, die länger in Gedächtnis bleiben. So hatte ein Hund etwas gegen mein Motorrad gehabt: Er war aus dem Gebüsch gegen mein Vorderrad gerannt, hat das Gefährt zu Fall gebracht, so dass ich unter ihm lag und das auf extrem rauem Asphalt. Meine rechte Seite war teilweise ohne Haut und Steinchen blieben in den Wunden. Was ich in dieser Situation an Hilfsbereitschaft von den Einheimischen erfahren durfte, ist nicht zu übertreffen. Bei allem hatte ich einige Schutzengel, denn es war nichts gebrochen und der Kopf bliebt unversehrt.
Noch einen Satz zur politischen Lage: Im Norden an den Grenzen zu Mali sind die Islamisten eingerückt, haben alle Lehrer vertrieben und das burkinische Militär ist nicht in der Lage, einzugreifen. Im übrigen Land streiken die Lehrer im 2. Jahr, um Gehaltserhöhungen zu bekommen. Es gibt wieder keine Zeugnisse und für einige unserer Kinder, die Abitur machen wollten, ist es ganz furchtbar.
Da wir nicht in der Lage sind, an den großen Dingen etwas zu verändern, beschränken wir unser Tun auf die kleinen, und da darf ich sagen, dass wir dank Ihrer Hilfe mit dem Erreichten sehr zufrieden sein können.
Allen, die befürchten, dass einmal ihr Patenkind vor ihrer Tür steht, darf ich beruhigend sagen, dass dies aus vielerlei Gründen überhaupt nicht denkbar ist.
Siegfried Straub, Februar 2019