Aus Kindern werden Jugendliche und junge Erwachsene – überhaupt nichts Neues. Das jedoch im jährlichen Abstand zu erleben ist etwas ganz Besonderes. So war es auch bei meiner Reise im Januar 2020.
Zum ersten Mal glückte die Fahrt von Ougadougou nach Sindou mit öffentlichen Verkehrsmitteln an einem Tag.
Für die ersten zwei Wochen wurde ich von Claudette Hoydem begleitet. So machten wir uns nach der ersten Nacht bei 33° Grad in der Hütte, für eine Begrüßungsrunde in Sindou auf. Bei Zacaria war die erste Station. Es ist schön zu sehen, dass das Nähzentrum so funktioniert, wie es gedacht war. Mehr als 20 Auszubildende sitzen dort hinter ihren Nähmaschinen, arbeiten oder haben theoretischen Unterricht. Auch hier dauert die Ausbildung drei Jahre. Um das alles sinnvoller gestalten zu können habe ich eine zweite Schneiderin zur Probe auf ein halbes Jahr zu den gleichen Konditionen eingestellt. Besonders gefreut hat mich, dass die erste Schneiderin von meinem Plan begeistert war im Nähzentrum individuelle Kleider für die Kinder anzufertigen, zunächst für die Mädchen, die das Gymnasium besuchen. Sie kauft verschiedene Stoffe, die Kinder suchen aus, es wird Maß genommen und nach Wunsch Kleider angefertigt. Ihr Kommentar: „So eine Aufgabe ist für die Auszubildenden die beste Motivation“.
Das Computer-Lernzentrum ist gefragt und wir konnten die zwei ausgefallenen Laptops durch zwei Gebrauchte ersetzen. Da ein Teil unserer älteren Patenkinder auf weiterführende Hochschulen oder Unis gehen, ist die Nachfrage nach Computern oder Smartphones groß.
Im Verlauf meines dreiwöchigen Aufenthalts in Sindou war es für Zacaria ein Anliegen, mir die Väter und Großmütter mit Säuglingen zu zeigen, deren Mütter bei der Geburt gestorben waren und die dank der von uns finanzierten Trockenmilch überlebten. Auch anderen mittellosen Erkrankten, z. B. einem Epileptiker, wird auf diesem Weg geholfen.
Mit der Spende der Öschelbronner Grundschule an eine Schule mit Schülern im selben Alter, die „ecole“ in Sindou, wurden unter Mangobäumen Tafeln und Sitzgelegenheiten gemauert, so dass die Schüler in den Pausen und ihrer Freizeit in Gruppen lernen können. Ähnliches erlebe ich immer wieder, wenn ich am Wochenende durch das Dorf gehe, dass Schüler bis zum Abitur gemeinsam lernen. Wenn ich die sehr disziplinierten Klassen von ca. 60 Schülern kurz besuche, werde ich mit Jubel empfangen.
Es ist schon Tradition, dass wir an einem Samstag die Patenkinder von den Grundschulen zum gemeinsamen Essen einladen. Da viele von den Eltern oder Lehrern aus den umliegenden Dörfern hergefahren werden müssen, waren wir eine Gesellschaft von ca. 80 Personen. In diesem Jahr gab es zum ersten Mal Fleisch, Couscous und ein Getränk nach Wahl. Gleichzeitig holten die Kinder ihre Geschenke ab.
In die vom Nähzentrum gefertigten Sportbeutel kam je ein passendes T-Shirt, die übersetzten Briefe von den Paten, ein Umschlag mit 10.000 CFA = 15 €, handgefertigte Ausgehtäschchen für die Mädchen, Zahnbürste und Zahnpasta, Kugelschreiber, Uhren und Schmuck nach Wahl für die Älteren. Wie immer alles finanziert von den Spendengeldern.
Auch in diesem Jahr gab es wieder Live-Musik mit fünf Musikern, die ihre Balafons dabei hatten. Nach dem Essen tanzten die Kinder mit wachsender Begeisterung im Sand. Was sie mit ihren Beinen veranstalten ist nur für wenige Minuten nachvollziehbar.
Ab ca. 18:00 Uhr, wenn die Kinder auf Grund der Nacht nach Hause gehen mussten, kamen die Jugendlichen des Dorfes zum Balafontanz bis Mitternacht. Es wurde dazu auch gesungen. Man benötigt jedoch ein besonderes Musikverständnis.
Mit den Schülern des Gymnasiums machten wir mit zwei Kleinbussen zum vierten Mal einen Ausflug über die Ortsgrenzen hinaus. Diesmal ging es auf denkbar unwegsamen Pfaden zu einer historischen Siedlung der Dogos aus dem 3. Jahrhundert. Um diese besichtigen zu können musste ein steiler Aufstieg von ca. 700 Höhenmeter bewältigt werden. Die Hitze, der steile Anstieg und das Alter haben dazu geführt, dass ich als letzter oben ankam. Solo hat als ehemaliger Reiseleiter vor Ort die Führung gemacht. Als alle zusammen waren habe ich die Gelegenheit genutzt, um den Schülern unter anderem zu erzählen, wie es zum Verein „Erde der Kinder“ kam. Nach dem Abstieg gab es für alle Picknick und Getränke. Von der Busfahrt und dem Staub der Pfade waren wir nach unserer Rückkehr kaum mehr zu unterscheiden. Das Echo der Schüler nach der Rückkehr war unisono: „In dieser Region waren wir noch nie!“
Schon immer war ich auf der Suche nach einer Betriebsbesichtigung für die Schüler des Gymnasiums. Jetzt gab es die Aussicht, eine von einem Deutschen geführte Firma in Bobo zu besuchen. Vor meiner Abreise hatte ich bereits Kontakt aufgenommen. Jedoch wollte der Chef erst zehn Personen, dann nur noch fünf Personen empfangen. Da er einheimische Produkte bearbeitet und auf Grund der eingeschränkten Personenzahl, dachte ich an die Bauern und besonders an deren Frauen. Also habe ich ein Auto gemietet und bin mit drei Frauen die 180 Kilometer zur Firma gefahren. Noch heute bin ich tief beeindruckt von der Größe, Organisation und der Vielzahl der Beschäftigten (ca. 50 Frauen). Dort werden nur Bio-Produkte bearbeitet wie die Kariténuss, Ingwer und getrocknete Hibiskusblüten. Viele Dörfer pflanzen und sammeln für die Firma, unter anderem auch in der Umgebung von Sindou.
Wenn dieser Besuch dazu beiträgt, dass die Bauern in Sindou eine lukrative Absatzmöglichkeit ihrer Erzeugnisse gefunden haben, hat sich die Fahrt gelohnt. Im Jahr gehen 100 Container mit Produkten der Firma nach Europa und Nordamerika.
Natürlich war ich sehr gespannt das Waisenhaus wieder zu sehen. Es gefällt mir sehr gut, wie es farblich gestaltet wurde. Auch die verlegten Fliesen geben die Möglichkeit es hygienisch sauber zu halten. Die Solarpaneele für das Trinkwasser sind auf dem Dach angebracht. Es fehlen noch die Fensterscheiben, vor allem für das Refectorium. Die Anbringung der Paneele auf den Dächern der Schlafräume und der Innenausbau mit Möbeln, Betten, etc. stehen noch aus.
Zwischen den Besichtigungen fuhr Solo mit mir ca. 25 Kilometer nach Tourny. Wir brachten den Patenkindern ihre Geschenke und ließen mit dem Dreirad zwei Fahrräder hinbringen. Der Weg dorthin wird, wie alle Pfade, jedes Jahr schlechter. Da in der Trockenzeit nichts passiert, werden die Gräben in der Regenzeit immer tiefer und die Wege für die Motos immer schmaler. Für mich als Soziusfahrer hieß das, vier Stunden leicht schwebend mit Armen und Beinen die Schläge abzufedern.
Zwei der sechs Hütten auf dem Gelände von Solo hatten, obwohl ganz neu, einen Termitenbefall. Die Tiere fraßen die Deckenverschalung aus 5 mm-Sperrholz so stark an, dass sie erneuert werden mussten und anschließend mit Spezialprodukten geschützt wurden.
Von zwei Schreinern aus dem Dorf habe ich jeweils ein Bett als Muster anfertigen lassen. Noch immer warte ich auf den Kostenvoranschlag für die Toiletten und die Waschbecken. Eine regengeschützte Kochstelle und ein Wächter müssen vor dem Einzug der ersten Schüler organisiert werden.
Dass die Umstände von einigen Mädchen sich verändert haben, lässt mich hoffen, dass es so beispielhaft endet wie ich es jetzt erlebt habe. Ein Mädchen hat trotz Kind das Abitur auf Anhieb super geschafft und hat einen Studienplatz in Bobo.
Leider laufen die Dinge nicht immer so wie man es gerne hätte. Wir besuchten ein anderes abgelegenes Dorf. Die Kinder erhielten ihre Geschenke und in meinem Rucksack waren Kleider für die Kleinen. Der Dorfchef, ein Naturheiler, ist gestorben. Am Abend kamen zwei Frauen aus dem Dorf zu uns. Sie liefen zehn Kilometer, da die Männer die Motorräder weggeschlossen und das Geld für die Familie zu sich genommen hatten. Da die Frauen auf die Märkte gehen und den ganzen Tag arbeiten verstehe ich ihre Traurigkeit. Ich versuchte ihnen zu helfen, u. a. mit einem Fahrrad.
Als Goldschmied hätte ich sehr gerne die neue Goldmine besichtigt. Wir fuhren 25 Kilometer auf beschriebenen Wegen, um am Ende vor einer Schranke zu stehen und die Auskunft zu erhalten, dass man sich vor drei Tagen hätte anmelden müssen. Die privaten Goldsucher wurden vertrieben.
Den Kontakt zu dem Pastor, der mich nach meinem Unfall im letzten Jahr gerettet hatte, konnte ich vertiefen. Er hat mir seine Pläne für ein handwerkliches Ausbildungszentrum mitgegeben, das auf der Strecke nach Banfora entstehen soll. Es ist genau das Richtige und dringend Notwendige. Wie er das bei einem Einkommen von 30 € im Monat mit Familie und Kindern finanzieren will ist noch sein Geheimnis.
Nach wie vor ist das Leben für die Menschen an der nördlichen Grenze zu Mali sehr gefährlich. Die Islamisten sind nicht berechenbar und jederzeit zu Überfällen bereit, sowohl in kleinen Gruppen als auch in größeren Formationen.
An einem Sonntag verbrachte ich einige Stunden in den Pics de Sindou, genoss die Ruhe und die Sicht auf die einmaligen Felsformationen, die stark an die Entstehung der Erde und die anschließende Erosion erinnern.
Ein gelungener Versuch, ohne Übernachtung die Heimreise zu organisieren gelingt, so dass ich nach ca. 30 Stunden glücklich in Deutschland lande und wohlbehalten zu Hause ankam.
Vieles wäre noch zu erzählen, doch hier endet mein Bericht. Abgesehen von den zwischenmenschlichen Problemen, die es leider auch in Afrika gibt, bin ich mit der Reise sehr zufrieden.
Siegfried Straub